Hirsche richtig ansprechen - ein Mythos?

Björn Gürgens
12 Min. Lesezeit

Es ist bereits September und der Rothirsch hat die Hochzeitsstiefel angezogen. Die Brunft läuft und somit ist im Rotwildrevier eine der schönsten, spannendsten aber auch jagdlich relevantesten Phasen angebrochen. Immer wieder beschäftigen wir uns mit der Ansprache des vermeidlich „passenden“ Hirsches. Aber welcher Hirsch passt den nun? Und ist es überhaupt sinnvoll, in der Brunft zu jagen? Was sollten wir überhaupt jagen und wie? Fragen über Fragen…

Perfektes Beispiel eines Althirsches. Nach dem Abwurf der Stangen wurde er nie wieder gesehen.


Zunächst möchte ich die Frage beleuchten, ob es wirklich Sinn macht, in der Brunft zu jagen. Viele Jäger scheuen die Erlegung eines Brunfthirsches wegen der Wildbretqualität. Mit Ausnahme dieses Faktors ist die Jagd in der Brunft definitiv sinnvoll und lukrativ. Es ist Bewegung im Wild und jetzt hat man die Chance, gezielt und einfach an die Hirsche ranzukommen. Vor und nach der Brunft ist die Bejagung der oft heimlichen Hirsche kräftezehrend und wenig aussichtsreich. Teilweise ist nach der Brunft damit zu rechnen, dass der Abschussplan der Hegegemeinschaft erfüllt und die Chance auf den Hirsch so gänzlich vertan ist. Warum die hohe Zeit also nicht nutzen? Und ist das Wildbret wirklich so schlecht? Gemessen an der Jahresstrecke der meisten Reviere, fällt die Menge an Wildbret erlegter Brunfthirsche sprichwörtlich kaum ins Gewicht und mit der richtigen Behandlung bzw. Verwertung lässt sich auch der alte Recke halbwegs gut vermarkten oder verwerten. Man muss sich hierbei nur ein wenig Kopfzerbrechen machen, um geeignete Wege zu finden. Wenn ich das Stück einfach an den Wildhändler abgeben und mir so viel Arbeit mit dem unhandlichen Tier ersparen will, kann ich auch keine Spitzenpreise erwarten. Hat man jedoch einen guten Metzger zur Hand, sollte sich mit etwas Beratung und gutem Handwerk auch aus dem Hirsch etwas Feines zaubern lassen.


Und was sollte man nun jagen in der Brunft? Kahlwild schon mal nicht, ebenso wenig wie anderes Wild. Natürlich kann ich mich im ersten Licht des Tages auf das Septemberkitz des Lebens kaprizieren, wenn das Rotwild dann aber die Bühne meidet, möge man sich bitte nicht wundern. Ebenso ist das Kahlwild als lebendige Kirrung zu sehen. Beunruhige ich die Damen, kommt der Herr auch nicht zum Hochzeitstanz. Die Brunftparty findet dann nämlich schnell andernorts statt.


Vorrangig sollten darum eben Hirsche und gegebenenfalls geringe Spießer, die ohne Kahlwild anwechseln, bejagt werden. Sind Hirsche in allen Altersklassen frei, empfehle ich folgende Freigabe:


In der Jugendklasse sollten klassisch Sechser, Achter und geringe Eissprossenzehner bejagt werden. Je nach Genpool kann man auch über die Freigabe einseitiger Kronenhirsche der Jugendklasse philosophieren. Dann aber wohl eher am oberen Ende der Jugendklasse.


Die Erlegung Mittelalter Hirsche hat meist einen faden Beigeschmack. Oft frage ich warum. Natürlich kann und soll ich einen mittelalten Hirsch bejagen, die Kriterien müssen jedoch straff formuliert werden. Kronenlose Hirsche oder jene, die nur eine Krone, womöglich noch mickrig zeigen, können bedenkenlos erlegt werden. Ebenso durch Rosenstockverletzung abnorme Hirsche oder allgemein schlecht entwickelte Stücke. Ein solcher Hirsch kann viel Spaß machen, das Erlebnis ist nicht minder schlecht als die Erlegung eines reifen Recken und obendrein noch dienlich aus Sicht der Wildbewirtschaftung. Letztlich kann der alte Hirsch nur stark werden, wenn wir ihn durch gezielte Eingriffe in sein Umfeld fördern, und dazu gehört eben auch die Entnahme schlecht entwickelter Mittelalter.


Hirsche der Reifeklasse können im Grunde generell freigegeben werden, haben sie doch das Zielalter erreicht. langsam aber sicher sollten wir uns jedoch die Frage stellen, was das Zielalter ist. Klassisch wird hier beim Rotwild der zehnte Kopf angegeben. Aber stimmt das? Nehmen wir an, der Hirsch findet sein biologisches Ende mit etwa 18 Jahren und setzt zurück ab dem 14. oder 15. Kopf, dann wäre das Alter von 10 Jahren im Grunde die letale Entnahme nach nur 2/3 seines Lebens. Der Hirsch vom 10. Kopf ist daher in der Regel voll im Saft und sollte frühestens mit dem 12. Kopf geerntet werden. Das dies oft schwierig ist, muss ich aber wohl nicht groß ausführen. Ein Großteil der Hirsche fällt zu jung. Hier noch mal ein Leitfaden für das, was man tun muss, damit ein Hirsch alt wird: nichts. Das schafft er im Regelfall allein. Zu oft kostet aber der Jagdneid oder die falsche Ansprache sein Leben.


Wie spreche ich den wirklich reifen Hirsch aber nun an? Hierzu eine Szene aus dem Revier:

…den zweiten Morgen pirschen wir nun auf der Suche nach einem Hirsch für meinen Jagdgast. Das Wetter am gestrigen Morgen zwang die Brunft kurzzeitig in die Knie. Aber heute Morgen, bei nur 5 Grad melden die Hirsche anhaltend und laut. Und dort stehe ich nun, mitten im dunklen Wald und halte die Ohren ins Revier. Lautes Melden aus dem Nachbarrevier. Bei mir noch Ruhe. Doch dann höre ich hinter mir eine tiefe Stimme. Vereinzelt brummelt ein Hirsch, etwa 800 Meter von mir entfernt. „Dort steht ein kleines Rudel Kahlwild, nur 6 Stücke.“, sage ich leise zu meinem Gast. „Die wird er wohl gefunden haben!“, schlussfolgere ich und entscheide mich, die Stimme anzugehen. Bereits nach 250 Metern die erste Signatur in der Wärmebildkamera. Reinecke liegt bräsig auf dem Forstweg, nur die Gehöre schauen aus dem Gras und uns schneidet er gar nicht mit. Ebensowenig wie das Schmalreh, welches die Blätter der Himbeeren am Wegesrand in absoluter Seelenruhe äst. Flott abgebogen, an einer Ricke mit ihren beiden Kitzen vorbeigeschlichen und um die nächste Zaunecke geäugt folgt die Gewissheit. Ein Hirsch zieht seine Fährte vor uns. Seine Stimme haben wir jedoch sicherlich nicht gehört. Es ist ein Hirsch der Jugendklasse, vermutlich ebenfalls neugierig ob des Hirsches, der dort im Stangenholz der nächsten Abteilung die Damen bespaßt. Wir trotten also langsam und auf Abstand hinterher und verschanzen und auf der nächsten Kreuzung hinter einem Holzpolter. Über dessen Ecke geschaut erkenne ich das erste Stück Kahlwild und schon ertönt die tiefe Stimme erneut. „War ja klar…“, flüstere ich zu meinem Jagdgast. „Der hat sich natürlich hinterm Kahlwild versteckt!“, bemerke und und schon im nächsten Moment drücken wir uns energisch ans Holz. Der geringe Hirsch steht plötzlich einen Steinwurf entfernt. Es ist ein Zwölfer, der mal eben den dritten Kopf erreicht hat und somit definitiv nicht unser Objekt der Begierde ist. Doch plötzlich schiesst ein roter Blitz aus der Deckung und ich sehe nur noch, wie der Junghirsch Fersengeld gibt. „Der Platzhirsch schmeißt ihn raus, bloß hinterher!“, raune ich dem Gast zu und schon geben auch wir Fersengeld. Auf der nächsten Kreuzung äuge ich langsam um den Polter und da steht er, der große Hirsch und reagiert sich ab. Wild im Boden forkelnd und schlagend zeigt er mir den Spiegel, dreht sich dann breit und nun geht es los. Innerhalb von 2 Sekunden muss ich die Checkliste von oben nach unten durchgehen.


Checkliste:

  1. Geweihmasse oben oder unten? Je älter der Hirsch, desto mehr verlagert sich die Masse zu den Rosen herab.
  2. Tiefe Rosenstöcke? Körpereigene Osteoklasten lassen die Rosenstöcke mit zunehmendem Alter immer niedriger werden.
  3. Rambsnase, keilförmiges, kurzes, breites und grimmiges Haupt?
  4. Starke Wamme?
  5. Träger nahezu so stark wie der Rumpf und mit Mähne behangen?
  6. Tiefes getragenes Haupt?
  7. Widerrist gut sichtbar?
  8. Läufe optisch sich der Körpermitte annähernd?
  9. Wenig Kahlwild?
  10. Zurückhaltendes Verhalten? Der alte Hirsch ist nicht derjenige, der Wild röhrend ein filmreifes Bühnenwerk neben dreißig Stück Kahlwild vollbringt.
So soll es aussehen!


Sind alle diese Punkte erfüllt, sollte es sich um einen passenden Hirsch der Reifeklasse handeln. Die Punkte stimmen überein, und mein geübter Schütze lässt den Hirsch nach nicht ganz dreißig Gängen dank sauberer Kugel in der Fährte verenden.


Unabhängig vom Alter ein wahrer Lebenshirsch!

Am Hirsch angekommen und nach kurzem, ersten Waidmannsheil kommt dann der Blick in den Äser. Ist die Kunde vom M1 auf der ersten Säule ausgeschliffen, sollte man sich keine Sorgen machen. Ist noch mehr ausgeschliffen, dann schon gar nicht. Aber was ist, wenn noch ein wenig Kunde vorhanden ist? Ich empfehle hier entgegen aller Spekulationen die Altersbestimmung über das Schleifen bzw. korrekt ausgedrückt über die Zahnzementzonenaltersbestimmung. Gerade bei den Grenzgängern vom 9. auf den 10. Kopf erlebt man die dollsten Dinger. Da wird so mancher sicher 10 jährig geglaubte Hirsch zum Mittelalten und andersrum. Geht die Ansprache mal schief, sollte man sich das nicht zu sehr zu Herzen nehmen. Wir alle kennen auch genügend Menschen, deren Alter sehr schlecht einzuschätzen sind. Da ist es beim Wild oft nicht anders. Das sollte aber keineswegs als Ausrede oder Legitimation gelten, um nun Feuer auf den erstbesten Hirsch zu eröffnen. Letztlich bleibt immer nur noch ein stetiges Weiterbilden sowie das Vertrauen auf erfahrene Waidmänner.

Verabschiedung eines alten Recken


In diesem Sinne, Waidmannsheil!

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Veröffentlicht am 21. September 2025
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