Tikka T3X lite / MDT Pirschbüchse

precisionhunterschool
17 Min. Lesezeit

Pirschen

Es wurden schon mehr Reviere leer gepirscht als leer geschossen.
#Jägerbullshit

Aber, wie so oft, ist auch an diesem Spruch etwas Wahrheit dran.

Pirschen ist eine komplexe Angelegenheit und wird nicht umsonst als die Krone der Jagd bezeichnet. Gleichzeitig ist es auch die älteste Jagdform der Welt und gleicht einem 3D Schachspiel mit vielen unbekannten Variablen. Weiß man auf der Ansitzjagd schon vorher ziemlich genau was einen erwartet, sieht man sich bei der Pirsch ständig wechselnden Bedingungen ausgesetzt und muss auf diese flexibel und blitzschnell reagieren können.

Die Evolution

Aber langsam: Auch meine jagdliche Sozialisation fing mal auf einem Hochsitz an - mit viel Sitzen und wenig Sehen. Ein Revierwechsel brachte dann die ersehnte Freiheit aus der Knechtschaft der Kanzel: ich durfte endlich pirschen.

Mit der Pirscherei gingen entsprechende Veränderungen in der Ausrüstung einher. Meine Mauser M12 Extreme im Kaliber .308 Winchester, eine tolle und präzise Büchse, bot mir irgendwann nicht mehr die Einstellmöglichkeiten, die ich für meine Version von Pirschjagd brauchte. Zu wenig bzw. keine individuelle Anpaßbarkeit des Systems an meine Anatomie, keine Ankerpunkte im Anschlag und zudem keine Möglichkeit, eine ARCA Klemmung stabil und dauerhaft an den Schaft  anzubringen. Das Zeiss 2-12 Glas war ebenfalls solide, bot mir aber irgendwann nicht mehr die nötige Vergrößerung um auch weitere Distanzen zu meistern. Mehr zum Thema Optik aber unten.

Es folgte ein System- und Paradigmenwechsel: Von der Ansitz- zur Pirschjagd und von der klassischen Jagdbüchse zum modernen Repetierer im Carbon-Chassis. Nach nunmehr drei Jahren Pirschevolution bin ich mit dem System an einem Punkt angekommen, an dem mir wenig Verbesserungspotential einfällt und die Fähigkeiten der Waffe die meinen bei Weitem übersteigen. Ich möchte meinen Weg hin zu diesem Setup mit euch teilen und dem einen oder anderen ein bisschen Inspiration bieten, vielleicht einmal über den Tellerand zu schauen.

In Anlehnung an Humboldt soll hier gesagt sein: ‚Die gefährlichste Weltanschauung ist die Weltanschauung derer, die die Welt nie angeschaut haben‘. Das gleiche lässt sich eben oft auch auf die Jagd übertragen.

Das System

Grundgerüst ist eine Tikka T3x Lite im Kaliber 6.5 Creedmoor, die ich gebraucht für unter 1000€ gekauft habe. Mit ihren 50cm Lauflänge bietet sie ausreichend ballistische Reserven auch für weitere Distanzen, ohne einen langen und damit schweren 60cm Lauf zu haben.

Der Verschluss wurde von German Gun Stock geflutet und auch wenn er die Funktion im Normalbetrieb nicht wirklich verbessert, sieht es doch verdammt gut aus und das ist ja auch schon ein Wert an sich. Den Abzug habe ich mit einer Tuningfeder von Mountain Tactical auf 400g eingestellt - der selbe Wert wie in allen meinen anderen Büchsen auch. Wenige Sachen sind hinderlicher für präzises Schießen als völlig verschiedene Abzugscharakteristiken in unterschiedlichen Büchsen. Alles Abzugstraining bringt nichts, wenn die nächste Waffe sich beim Abziehen völlig anders verhält. Tikkas sind für vier Dinge bekannt: Ihren guten Werksabzug, Präzision, Robustheit und ihren billigen Plastikschaft. Letzterer musste dann auch gleich nach dem Kauf weichen.

Der Schaft

Das HNT26 Chassis von MDT ist das derzeit leichteste Carbon-Chassis auf dem Markt und bietet neben dem geringen Gewicht auch eine voll individuell anpassbare Konfiguration.

Sowohl die Schaftbacke als auch die Schaftlänge können millimetergenau eingestellt werden und das hilft enorm, denn: Präzision entsteht durch Konsistenz. Erst wenn ich einen immer gleichen Anschlag, egal aus welcher Position heraus, exakt reproduzieren kann, schaffe ich die Grundlage für gleichbleibende Treffsicherheit. Unabdingbar bei der Pirschjagd, wo oft unter alles andere als idealen Bedingungen geschossen wird und wo mindestens 3/4 aller Schüsse aus kompromittierten Schießpositionen heraus fallen.

Das Chassis bietet zudem die Möglichkeit, über MLOK Schnittstellen (die länglichen Schlitze am Vorderschaft) vielfältiges Zubehör zu weiteren Individualisierung anzubringen. So habe ich an der linken Front eine Daumenauflage von MDT angebracht, die mir dort einen Ankerpunkt in der stehenden Schießposition vom Tripod aus bietet.

Oberhalb des Griffs aus Carbon habe ich ein 3D gedrucktes Pendant dazu aufgeklebt, auf dem mein anderer Daumen Platz findet und mit dem ich die Waffe, wenn sie denn im Tripod eingespannt ist, fein ausrichten kann. Meine Hand greift dabei nicht um den Griff - das bringt meist nur Unruhe ins System - sondern ruht auf dem Griff mit dem Daumen auf der Auflage. Lehnt man sich jetzt noch ein wenig in die Waffe hinein entsteht ein sehr stabiles System, mit dem, Übung vorausgesetzt, auch Schüsse weit jenseits der GEE möglich sind.

Zweibein statt Dreibein

Kommt das Dreibein an seine Grenzen, hilft das Zweibein weiter.

Auch dieses ist von MDT, hergestellt aus Kunststoff und damit deutlich leichter als das allseits bekannte Harris. Wenn sich die Möglichkeit ergibt, bevorzuge ich das Schießen aus der liegenden Position - stabiler und sicherer geht es nicht. Dabei hilft auch das Schießkissen von One Tigris, das ich immer an meinem Pirschgürtel trage. In meinen Seminaren gibt es immer einen sichtbaren Aha-Effekt, wenn Teilnehmerinnen und Teilnehmer das erste Mal die Stabilität eines solchen Setups sehen. Das Ganze gepaart mit einer hochvergrößernden Optik und der Radius der Möglichkeiten erweitert sich enorm.

Die Optik

Ich nutze schon seit Jahren die Zielfernrohe von Vector Optics und bin immer wieder wahlweise erstaunt bis irritiert darüber, wie sie es schaffen, solch gutes Glas für einen solchen Preis zu anzubieten (man kann sich allerdings genauso fragen, warum andere Hersteller, bei gleicher optischer Qualität, teilweise das Doppelte für ihre Produkte verlangen. Aber Marketing kostet eben…). Im Fall meiner Pirschbüchse nutze ich derzeit das Vector Optics Continental 4-24x56 FFP, also mit dem Absehen in der ersten Bildebene (auf einigen Bildern ist das ansonsten nahezu baugleiche Vector Optics Continental 3-18x50 FFP zu sehen). Das spielt für die Jagd keine wirkliche Rolle, aber in der Kombination mit offenen, taktischen Türmen, gibt es kein anderes Absehen und tatsächlich empfinde ich das sogenannte ‚Christmas-Tree-Reticle‘, also ein Absehen mit integrierten Haltemarken, bei der Jagd wahlweise als uberflüssig oder störend. Die Haltemarken sind in diesem Fall allerdings so fein, dass ich sie meist gar nicht mehr wahrnehme. Entscheidend für mich ist aber der große Zoombereich, der von einer vierfachen Grundvergrößerung bis zu einem 24x Zoom reicht.

Braucht man 24x um auf der Jagd zu schießen - nein! Vor allem sollte man sich von solchen großen Vergrößerungen nicht zu Weitschüssen verleiten lassen, ohne diese vorher trainiert zu haben. Nur weil etwas nah im Okular erscheint, ist es das in der jagdlichen Realität noch lange nicht. Der 24fache Zoomfaktor erlaubt aber vielmehr das präzise Ansprechen auch auf große Distanzen oder im engen Bewuchs und ein großer Zoombereich hilft, in der Naturverjüngung das Gehörn von einem Ast zu unterscheiden. Der integrierte Parallaxeausgleich erlaubt es zudem, die Geschossflugbahn auf der Suche nach Ästen durchzufokussieren, so dass man sicherstellen kann, dass auch auf 100m kein kleiner Haselast die Geschossbahn verfälschen kann.

Eine Absehenbleuchtung gibt es auch und besitzt die praktische Funktion, dass zwischen jeder Beleuchtungsstufe eine off-Stufe ist, so dass man nicht erst alle Intensitätsstufen durchklicken muss, bis man bei der für die Lichtverhältnisse passenden Einstellung angekommen ist. Die Verstelltürme arbeiten absolut präzise und wiederholgenau und haben zudem eine ‚lock‘ Funktion, d.h. man kann die Türme zum Verstellen hochziehen, entsprechend die MRAD Werte verstellen und sie danach wieder einrasten lassen. Das verhindert ungewolltes Verstellen durch z.B. Reibung an der Kleidung, was bei der Pirsch entsprechend oft vorkommt.

Ein Schnellverstellhebel hilft, den 180° großen Zoombereich schnell durchzuschwenken, so dass man, muss es schnell gehen, zwischen einem Zoom auf 24x zum Ansprechen und einem 12x zum Schießen sehr schnell hin- und her wechseln kann. Eine Libelle von Wolfskrieger ist direkt unter dem Okular angebracht - diese hilft einem Verkanten der Waffe vorzubeugen - wichtig vor allem bei weiteren Schüssen, da sonst Treffpunktabweichungen entstehen können.

Die Ringe sind ebenfalls von Vector Optics und arbeiten zuverlässig - trotz des günstigen Preises von nur 40€. Ich habe auch Montagen von Spuhr, aber es gibt einfach keinen Grund, die Ringe auszutauschen. Sie funktionieren seit Jahren einwandfrei und klemmen das ZF mit jeweils sechs Schrauben absolut sauber.

Der Schalldämpfer

Der A-TEC Optima 50 ist nicht gerade ein Leichtgewicht unter den Schalldämpfern, dafür hält er mit seinem Innenleben aus Stahl auch mal längere Schussfolgen auf dem Schießstand aus.

Entscheidend war hier nicht die (auch sehr gute( Dämpfungsleistung, sondern vielmehr die optional erhältliche Mündungsbremse, die als Zubehörteil statt der Schlusskappe vor das letzte Dämpferelement geshraubt wird. Diese verändert den Rückstoßimpuls enorm: Ist es sonst ein Schieben in die Schulter, verhält sich der Dämpfer jetzt eher wie eine Mündungsbremse mit dem Vorteil der Dämpfung des Mündungsknalls. Es gibt einen kurzen Kick und direkt danach ist man schon wieder im Ziel. Perfekt um das Zeichnen des Stückes zu sehen oder um ggf. eine Duplette zu schießen.

Kleinteile

Am Schaft habe ich noch einen Patronenhalter von ‚short action precision‘ angebracht. Das MDT Metallmagazin fasst 5 Patronen und reicht für fast alle jagdlichen Szenarien aus, aber nach Murphy: Was passieren kann, wird passieren’ und so habe ich lieber zwei Schuss mehr dabei. Besser haben als brauchen.

Der Kammergriff ist von Glades Armory aus den USA, ähnlich dem Kammergriff von ‚sterk‘. Für mich greift er sich deutlich besser als der originale Kammerstängel von Tikka und ich kann damit gefühlt schneller Repetieren. Außerdem sieht er cool aus - und führt damit erwiesenermaßen automatisch zu mehr Präzision.

Als Riemen benutze ich einen VTAC von Viking Tactics, weil mir der Schnellverstellmechanismus sehr gut gefällt, da er seinem Namen alle Ehre macht und sehr schnell und intuitiv zu verstellen ist.

Bei längeren Pirschgängen von über einer Stunde ist das ständig einseitige Tragen der Waffe irgendwann ermüdend und das Tragen quer über den Rücken beugt vorzeitiger Ermüdung vor. So schafft man kognitive Ressourcen die man dann abrufen kann, wenn es darauf ankommt. Die Gummis am Schaft sind wiederum dafür da, den Sling an den Schaft zu binden, wenn man nachts auf Sauenjagd die Büchse samt Dreibein bei der Pirsch auf der Schulter trägt.

Fazit

Für mich ist es so ein rundes Setup, das perfekt zu meinen Anfordernissen an eine Pirschbüchse passt. Auf dem Geartester Festival konnte ich auf dem Stand von Roedale übrigens ein sehr ähnliches Setup bewundern - nur in der Gucci Ausführung mit Nightforce NX8 ATACR Glas 4-32x50 sowie einem Proof Carbon Lauf, dessen Umbau alleine schon 2000€ kostet.
Braucht man das….nein, aber….leider geil.

Kann man auch mit einem 98er, Lodenkotze und Haselstecken erfolgreich auf die Pirsch gehen?
Absolut und vielleicht ist das ein Projekt für das nächste Jagdjahr.

Aber das hier gezeigte Setup macht vieles einfacher und manches überhaupt erst möglich.Ob man das (und wieviel davon) wiederum will, muss jeder für sich selbst entscheiden. Nicht jedes Detail ist notwendig, aber jedes Detail bringt einen gewissen Fähigkeitenzuwachs und in der Summe weiß ich am Ende, dass ich immer der limitierende Faktor bei der Jagd bin.


Der Ausredenmodus ist dann keine Option mehr.

Find' ich gut!

Kommentare

Huntingmen
Novize
vor 19 Tagen

Top Bericht! Vielen Dank dafür!!

vor 18 Tagen

Klar, gerne!

Hermann D
Neuling
vor 18 Tagen

Mega Bericht👍.
Da bin ich gespannt auf den „Pirsch 98er“😉

Ede
Greenhorn
vor 17 Tagen

Toller, inspirierender Bericht! Da bekomme ich direkt Lust selbst eine Büchse aufzumotzen! :)

vor 17 Tagen

Hallo Ede. Mach das gerne - ein individuell angepasstes System wird sich immer besser anfühlen (und dadurch meist auch - gleiche parameter vorausgesetzt - besser schießen) als Massenware :)

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