Die Einladung zur ersten Drückjagd - und jetzt?

Wie bereite ich mich richtig auf die erste Drückjagd vor? Diese Frage habe ich mir gestellt als ich die erste Einladung eines Jagdfreundes erhalten habe. Bei uns im Revier kommt aktuell noch kein Schwarzwild vor und so war ich auf der Suche nach einer Möglichkeit das flüchtige Schießen zu trainieren um dann auf der Drückjagd sichere und waidgerechte Schüsse abzugeben.

Das nächstgelegene Schießkino ist 40 km/ eine knappe Stunde von mir entfernt und bietet sowohl die Möglichkeit mit dem Marksman-Schießsimulator als auch mit der eigenen Waffe den scharfen Schuss auf die Leinwand zu üben. Ich fühlte mich danach deutlich sicherer, hatte aber immer noch das Gefühl, dass es mehr und regelmäßiges Training braucht um bei weiteren Drückjagden konstante Ergebnisse zu erzielen.

Der Pandemie geschuldet war die Anlage zudem eine Zeit lang geschlossen und danach nur begrenzt Termine buchbar. Auch konnte ich beruflich und familiär bedingt nur am Abend oder am Wochenende, zusätzlich zur Jagd in Wald und Feld, den Weg auf mich nehmen. Und auch die Kosten (in unserer Gegend 90-100 EUR/ Stunde für den Simulator, etwas mehr für das Schießkino zzgl. entsprechender Munition) waren zwar nachvollziehbar aber auf Dauer doch eine Belastung für das eigene Konto. Was also tun?

Mein Ziel war es eine Lösung für zu Hause zu finden, die ein orts- und zeitunabhängiges Training zu einmaligen Anschaffungskosten ermöglicht.

Da der scharfe Schuss zu Hause nicht möglich ist kam also nur ein Schießsimulator in Frage. Nachdem ich hier einige Anbieter im Internet gefunden hatte zeigten sich bei allen Produkten die gleichen Einschränkungen für den privaten Gebrauch:

Zum einen benötigt man "richtig" viel Platz (für eine Leinwand mind. 4m, besser 5m Breite), zum anderen mussten die Systeme festmontiert aufgebaut/ justiert werden und auch die Kosten waren für eine Nutzung durch mich alleine eigentlich nicht sinnvoll zu tragen.

Die Idee: Virtuelle (Jagd)Realität

Da ich schon erste Kontakte mit VR (Virtual Reality) hatte war die Überlegung, dass es hier doch eine Lösung geben muss. Mit einer 3D Brille in eine virtuelle Welt eintauchen um dort zu jagen. Die Internetsuche begann - und tatsächlich wurde ich fündig!

Es gab sogar mehrere Lösungen:

Die "Bastel"-Lösung

Eine eher DIY-Lösung sah dabei vor, auf die eigene Waffe einen der VR Controller zu montieren und es gab für dieser Lösung auch nur eine Tontauben-App die unterstützt wurde. Zudem war es bei dieser Lösung nötig die VR Brille über ein Kabel mit dem eigenen Rechner zu verbinden, was von der Bewegungsfreiheit, insb. wenn man noch die eigene, teure Jagdwaffe in Händen hält eher ungünstig ist. Und der vorhandene Abzug der Jagdwaffe konnte auch nicht direkt verwendet werden.

Auch war mir nicht wohl bei dem Gefühl eine echte Waffe ohne direkten Blick darauf in der Gegend zu bewegen und irgendeinen Abzugsmechanismus zu betätigen.

Insgesamt also mehr Schatten als Licht bei dieser Lösung.

Das (fast) Komplettpaket: GAIM Compact

Glücklicherweise habe ich dann, bereits im November 2020, vermutlich als einer der ersten in Deutschland, noch eine weitere Lösung gefunden, die allen meinen Anforderungen entsprach:

Als ich dann noch gelesen habe, dass es sich beim Hersteller GAIM um eine Tochtergesellschaft von Aimpoint handelt und auch Spezialeinheiten von Polizei und Militär mit nicht-jagdlichen Varianten des Herstellers trainieren war der Entschluss gefasst das Produkt zu bestellen und ausgiebig zu testen. Einzig die benötigte VR-Brille war nicht im Paket enthalten. In meinem Fall jedoch gut so, da ich diese bereits früher gekauft hatte.

Die benötigte VR-Brille: Oculus Quest

Es wird jedoch zusätzlich, sofern nicht bereits vorhanden, eine VR-Brille vom Typ Oculus Quest 1 oder Quest 2 benötigt. Diese ist nicht im Lieferumfang enthalten!

Da Facebook seit Oktober 2020 für die Nutzung von Oculus Quest Geräten einen Facebook-Account voraussetzt und das Bundeskartellamt hier noch Klärungsbedarf sieht wurde der Verkauf der Oculus VR Brillen in Deutschland bis heute eingestellt. Innerhalb der EU kann jedoch z.B. in Frankreich oder Italien weiterhin die benötigte VR-Brille erworben werden, sofern man bereit ist einen Facebook Account anzulegen bzw. diesen mit der Brille zu verknüpfen.

Lieferumfang / Erweiterungsmodule

Was erhält man:

Als zusätzliche Szenarien / Module kann man separat erwerben:

Installation / Einrichtung

Meine erste Installation im Jahre 2020 hat noch einen PC benötigt um die App auf die VR-Brille zu installieren bzw. Updates zu installieren. Mittlerweile ist das deutlich komfortabler und schneller über das Oculus App Lab möglich, was auch technisch weniger versierte Jäger vor keine allzu große Herausforderung mehr stellen sollte.

Bevor man dann die App starten kann muss noch Abzug des GAIM Schaftes mit der Brille über Bluetooth gekoppelt und innerhalb der App die Ausrichtung des Schaftes in der VR Umgebung entsprechend dem eigenen Körper vorgenommen werden. Hier gab es vor einiger Zeit ein Update, so dass pro Brille verschiedene Profile hinterlegt und die individuellen Einstellungen gespeichert werden können. Ein Neujustieren beim Wechsel von mehreren, festen Nutzern ist seitdem nicht mehr erforderlich.


VR-App: SimPro & Szenarien

Auch wenn die optisch-realistischen Szenarien sehr viel Spaß machen und natürlich auch die entsprechenden Analysen nach dem Schuss ermöglichen sollte man, um das Muskelgedächtnis zu trainieren, regelmäßig die SimPro App verwenden. In dieser kann man auswählen welche Tierarten in welcher Rudel-/ Rottenstärke, aus welchen Richtungen, mit welchen Abständen und mit welcher Geschwindigkeit an einem vorbeilaufen sollen.

Diese Umgebung ist optisch etwas einfach gehalten, was aber auch weniger ablenkt. Man kann aber wählen wie viele Bäume sichtbar sein sollen und ob man eher bei hellem Tageslicht oder etwas gedämmtem Licht trainieren möchte.

Über die vielfältigen Auswahlmöglichkeiten kann man sich seiner Erfahrung entsprechend leichteren oder schwereren Herausforderungen stellen und in der Analyse das eigene Schwingverhalten, Vorhalten sowie die Trefferlage kontrollieren und sich durch entsprechende Wiederholungen stetig verbessern.

In den optisch aufwendigeren Szenarien kommt durch Treiberrufe, Hundegeläut und viele Schussgelegenheiten tatsächlich eine Form von Jagdfieber bei mir auf. Hier kann man auf sichere Weise auch einmal einen etwas weiteren oder noch unsicheren Schuss versuchen, der sich in der Realität unbedingt verbietet.

Aus meiner Erfahrung riskiert man eher den einen oder anderen Schuss um z.B. die angeschweißte Sau in weiterer Distanz doch noch zu strecken – hier sollte man spätestens in der Analyse prüfen bzw. nochmals überdenken, ob in ähnlicher Situation in der Realität der Finger besser gerade geblieben wäre.

Für jeden Schuss werden, innerhalb der Real-Szenarien Punkte vergeben, die sich abhängig davon berechnen, ob man Klein-vor-Groß (d.h. Jungtiere/ Frischlinge vor älteren bzw. Sauen) beachtet, Tiere nur verwundet oder tödlich trifft oder auch den Kugelfang bzw. das Hinterland berücksichtig. Beim Schuss auf Hunde oder den Standnachbarn endet die „Runde“ natürlich direkt.

So kann man sich mit Jagdfreunden oder z.B. auch im Rahmen einer Jagdschule im Rahmen der Ausbildung untereinander vergleichen und die eigenen Ziele höher stecken. Da keine Leinwand und keine Kabelverbindung zu einem leistungsstarken Rechner benötigt wird könnte man sogar unterwegs, z.B. in der Jagdhütte üben.

Es erscheinen auch regelmäßig neue Szenarien, zuletzt z.B. ein Damwild Szenario bei dem auch Bewegungen auf dem Drückjagdbock von den Tieren wahrgenommen werden können oder mehr künstliche Intelligenz beim Verhalten der Tiere selbst, z.B. nach Schussabgabe um noch realistischer zu werden.

Ein weiteres Highlight ist, dass es die Oculus Quest von sich aus ermöglicht die Sicht des Trägers auf einen Fernseher oder Beamer zu übertragen/ streamen (hierfür wird aber zusätzlich z.B. ein Chrome Cast Stick benötigt). Dadurch kann man noch besser gemeinsam virtuell jagen oder auch die eine oder andere Situation gemeinsam besprechen.

Hardware

Die GAIM Compact ist aus meiner Sicht auch sehr robust, solange man alles, was der Schaft ungewollt berühren könnte, vor dem Training aus dem Weg räumt. Falls nicht wird beim massigen Schaft vermutlich auch eher die Umgebung „leiden“.

Die „Hardware“ wirkt sehr hochwertig und eigentlich kann ich mir auch nicht vorstellen wo es hier außer beim Abzug Defekte geben könnte. Bei sehr, sehr sporadische auftretenden Hängern hilft, wie so oft bei Computerdingen, ein einfacher Neustart der Brille.

Bei einem Jagdfreund, der sich die Lösung ebenfalls besorgt hat, gab es eines Tages Probleme mit der Bluetooth Kopplung des Abzuges, aber bei diesen und ähnlichen „Kinderkrankheiten“ (aus dem Jahr 2020, die zwischenzeitlich alle gelöst wurden) konnte der englischsprachige Support/ Kundendienst in Schweden immer eine schnelle Lösung per Email liefern.

Einschränkungen

Natürlich zeigt diese Lösung aktuell auch noch einige Unterschiede im Vergleich zu den teuren Schießsimulator-Lösungen, auf die ich gerne hinweisen möchte.

Aber ich halte es aufgrund der Geschwindigkeit, mit der regelmäßig Updates erscheinen für sehr möglich, dass es für das meiste davon irgendwann eine Lösung gibt:

Für mich stellt die GAIM Compact dennoch die derzeit beste Lösung für das private Training des Flüchtigschießen oder das Schießen auf bewegtes Wild samt richtigen Vorhaltemaß dar. Ich trainiere gerne und wann immer es mir zeitlich möglich ist - ganz im Sinne einer sicheren und waidmännischen Jagd – und das bequem von daheim.

Kosten

Preislich liegt die Lösung bei aktuell 5.500 SEK (entspricht ca. 550 EUR) für den Gewehrschaft und die Basismodule. Weitere, zubuchbare Module kosten zwischen 350 und 450 SEK (35 / 45 EUR).

Mit GAIM Complete gibt es mittlerweile auch ein Paket, das zusätzlich zum Gewherschaft eine Trainings-Kurzwaffe sowie ein umfangreicheres Paket an Modulen enthält. Dies kostet (Stand Sept. 2023) 1.199 EUR. Aus meiner persönlichen Sicht, macht das aber derzeit nur Sinn wenn man auch wirklich die Kurzwaffen-Module nutzt.

Die benötigte Oculus Quest 2 Brille kostet aktuell in der 128 GB Variante ca. 350 EUR. Im Herbst 2023 wird vorauss. die Quest 3 erscheinen. Evt. kann man das Vorgängermodell, das für die aktuellen Module ausreichend ist, dann zum einem günstigeren Preis finden.

Verglichen mit den Kosten für die Buchung eines Simulators (z.B. Marksman) aus meiner Sicht ein definitiv preiswertes und faires Angebot.

Sonstiges

Und da die VR Brille primär für nicht-jagdlichen Anwendungen gebaut wurde freut sich zudem die Familie, z.B. beim virtuellen Tischtennis, Minigolf, Bowling oder Fitness Workout.

Wenn ich sie im jagdlichen Einsatz habe ist lediglich das „Klick-Klick“ des Abzugs zu vernehmen, so dass man auch zu später Stunde, wenn draußen das Büchsenlicht bereits aus ist, noch trainieren könnte ohne Angst haben zu müssen, dass man jemand weckt.

Weil ich aber auch bei uns in der Wohnung immer erst ein paar Möbel verschieben müsste, habe ich mein Training letztlich in die Garage verlegt. Man könnte zwar auch im Freien trainieren, allerdings erntet man hier schon den einen oder anderen irritierten Blick der Nachbarn.

Leider war es mir nicht möglich Bilder in einer höheren Auflösung aus der App für diesen Artikel bereitzustellen. Die hier eingestellten Bilder entsprechen daher nicht der Auflösung/ Qualität, die man in der Brille selbst erfährt. Besser Bilder und auch Videos sind beim Hersteller und auf dessen YouTube Kanal zu finden:

https://www.gaim.com/products/compact/

https://www.youtube.com/channel/UC7VZdtd2uiuD6qWuF5pkQ1Q/videos

Falls ihr weitere Fragen zur benötigten Technik habt, Tipps und Tricks benötigt dann meldet Euch per Email. Ich helfe gerne!

Disclaimer

Ich wurde nie gebeten einen Geartester Bericht über die GAIM Compact zu schreiben und werde auch auf keine Art hierfür entlohnt. Der Bericht spiegelt meine eigene unbeeinflusste Meinung wider und ich schreibe diesen Bericht, weil ich von der Möglichkeiten daheim zu Trainieren begeistert bin und auch anderen diese, aktuell noch wenig bekannte, Lösung vorstellen möchte.